Carsharing als Unterrichtsfach am TG Umwelttechnik

Autos nicht verbieten, sondern vermieten

Von Siegfried Dannecker (Text und Bild)

Für die geteilte Freude am Fahren

Carsharing als Unterrichtsfach? Am Technischen Gymnasium Sindelfingen gibt es das jetzt. Mit gutem Grund: Mobil sein wollen die jungen Leute im Führerscheinalter zwar schon. Aber ein eigenes Auto? Das muss nicht zwingend sein.
Mit 18 sofort den Führerschein und möglichst gleich mit dem eigenen Auto durch die Lande düsen: Jahrelang war das für junge Menschen so etwas wie ein ungeschriebenes Gesetz. Das wollen so gut wie alle – frei nach dem alten Kraftwerk-Meisterwerk „Wir fahr´n, fahr´n, fahr´n auf der Autobahn“. In der heutigen Smartphone Generation ist der Wunsch nach hoher Mobilität zwar unvermindert vorhanden, aber die Wege dorthin hängen nicht mehr zwingend am (eigenen) PKW. Für Umwelt- und Klimaschützer bietet das einen guten Hebel, etwa das Carsharing nochmals breiter in den Schülerköpfen zu verankern.
Initiiert von der Stabsstelle für Nachhaltige Mobilität im Landratsamt Böblingen, namentlich Anja Willmann, haben jetzt Carsten Schultz von der Deutschen Umwelt-Aktion und Markus Draxler von Stadtmobil fürs Autoteilen geworben. Sechs Klassen des „TG“ der Gottlieb-Daimler-Schule (GDS) hörten zwei Stunden aufmerksam zu.
Katharina Kurz beispielsweise. Die 16-jährige, die im September 17 wird und augenblicklich die „Theorie“ in einer Fahrschule macht, wohnt in Deufringen. Zum Technischen Gymnasium fährt sie per Motorrad, eine kleine Yamaha WRX. Warum nicht mit dem Bus? „Unzuverlässig, teuer, überfüllt“, verzieht Katharina die Gesichtsmiene: „Damit brauch ich anderthalb Stunden, mit dem Motorrad 20 Minuten.“ Ihr Bike will die junge Dame vermutlich behalten, wenn sie einmal studiert, möglicherweise Physik oder Mathe, in Tübingen oder Konstanz. Aber wenn sie dann mal nicht mehr auf dem Lande wohnt, sondern in einer größeren Stadt lebe, „dann bin ich doch auch ohne ein eigenes Auto mobil.“ Ganz Schwäbin denkt Katharina an die Kosten, sofern so ein Führerschein und das Auto nicht von Oma, Opa &Co. gesponsert sind. Und selbst wenn. „Versicherungen, Sprit – das ist ja nicht wenig“, findet die Deufringerin. Von nerviger Parkplatzsuche ganz zu schweigen.
Ja, viele der zwischen 16- und 19-Jährigen am TG machten sich über moderne Mobilität so ihre Gedanken, sagt Herbert Waldschmidt (50), Lehrer und Abteilungsleiter der Schule. Sie stünden vor dem Führerschein, machten ihn oder seien junge Fahranfänger, aber auch für alternative Konzepte aufgeschlossen. Schließlich befassen sich all die jungen Leute in ihren Umwelttechnik-Kursen beispielsweise mit dem Thema CO2-Ausstoß und -reduzierung.
Für Anja Willmann ist das die richtige Klientel, um den Hebel von Verhaltensänderungen anzusetzen. Zusammen mit ihrem Kollegen Fabian Steinhauser und Manuel Meishammer ist die 30-Jährige eine von drei Beauftragten der Kreisbehörde für (nachhaltige) Mobilität. Deren Ziel: Menschen zum Umsteigen, Umdenken bewegen, ohne dass dadurch der Wirtschaft im Autokreis BB wirtschaftliche Nachteile entstünden.
Dafür muss man rechtzeitig ansetzen. Denn was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmermehr. Und so zählt auch Carsten Schultz von der Deutschen Umwelt-Aktion zu den Referenten an der GDS. Und Markus Drexler, Vorstandsmitglied bei Stadtmobil. Der 60-Jährige, im Broterwerb selbstständiger ITler, hat eine Mission. „Unser Ziel ist es nicht, das Auto zu verbieten, sondern es zu vermieten“, bläut er den Jungs und Mädchen im Unterricht ein: „Wir wollen Klima- und Umweltschäden reduzieren.“
Dass ein Fahrzeug, von einer Person bewegt, fast 23 Stunden am Tag herumsteht, findet Markus Draxler Unsinn. „Weshalb nicht nach Berlin oder München mit der Bahn und dort ein Auto mieten für die letzten Kilometer zum Ziel?“, fragt er – und führt in seinem Beamervortrag in die Konditionen für Stadtmobil ein, ein kleiner Werbeblock: „Tarif Basic", „Tarif Classic“ und einiges mehr. Rund 600 Stadtmobile rollen bereits in Stuttgart und der Region. Selbst sechswöchige Urlaubsfahrten mit Freunden oder der ganzen Familie seien „easy machbar“.
Dann geht es raus an das an seiner roten Farbe wiedererkennbare Stadtmobil-Auto, ein Toyota Auris Hybrid. Die App ist schnell auf dem Smartphone, binnen Sekunden haben die Schülerinnen und Schüler heraus, wie man den fahrbaren Untersatz entriegelt – einfach das Handy an das graue Lesefeld an der Windschutzscheibe halten. Auch das Eingabeterminal im Handschuhfach ist keine Hürde. Die vierstellige Karten-PIN gibt ums Handumdrehen den Schlüssel zur neuen, geteilten Mobilität frei.
Mobilitätsmanagerin Anja Willmann strahlt. Sie kann nun zurück ins Landratsamt Böblingen. Mit dem Bus ist sie hergekommen, mit dem Bus will sie zurück ins Amt. Da fährt er ihr vor der Nase weg. „Egal“ grinst die junge Frau und schnappt sich ein „Regio-Rad“, um schnurstracks in die Parkstraße zurückzustrampeln: „Das mach ich öfter so.“

25.Mai 2022

 

 
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